Wir stimmen am 27. September über vier wirtschaftsrelevante Vorlagen ab. Dabei ist der Schweizerische Gewerbeverband an vorderster Front aktiv und kämpft einmal mehr für wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen für die KMU. Seine Parolen: NEIN zur Begrenzungsinitiative, Ja zu höheren Kinderabzügen, Nein zum Ausbau des Sozialstaates und Ja zu mehr Sicherheit. sgv-Direktor Hans-Ulrich Bigler nimmt hier zu den einzelnen Abstimmungsvorlagen Stellung.
Sie sehen durch die BGI nicht nur den allgemeinen Wohlstand bedroht, sondern sind die KMU gleich dreimal gestraft. Erklären Sie das!
Hans-Ulrich Bigler: Wir müssen der sogenannten Begrenzungsinitiative ihren wahren Namen geben, um ihre Auswirkungen zu erkennen. Sie ist eine Kündigungsinitiative, die darauf abzielt, die Personenfreizügigkeit abzuschaffen. Der freie Personenverkehr ist jedoch überlebenswichtig für den Fachkräftemarkt und die KMU. KMU werden bei Fachkräftemangel doppelt gestraft: Erstens wiegt ein Ausfall einer Fachkraft schwerer als bei den Grossen. Zweitens haben KMU auf dem hart umkämpften Rekrutierungsmarkt schlechtere Karten, da sie meist nicht die gleichen Karrieremöglichkeiten anbieten könnten wie Grossunternehmen. Mit dem Wegfall der Personenfreizügigkeit würde wieder ein Kontingentierungssystem eingeführt. Damit sind die KMU sogar ein drittes Mal gestraft. Die Rekrutierung über ein solches System ist administrativ aufwendig und teuer. Kosten, die für die KMU viel schwerer tragbar sind als für Grossunternehmen.
Viele Schweizer sorgen sich gerade jetzt in der Corona-Krise um ihren Arbeitsplatz. Ist das nicht der Moment, um die Zuwanderung zu bremsen?
Indikatoren wie die ausgeschriebenen Stellen weisen darauf hin, dass sich in vielen Branchen der Fachkräftemangel auch während der Corona-Krise nicht entschärft hat. Sollte sich dies unerwartet ändern, greift bereits ab einer Quote von 5 Prozent die Stellenmeldepflicht. Es ist also eine Mär und Abstimmungskampf-Rhetorik, wenn behauptet wird, die Personenfreizügigkeit verhindere, dass die Arbeitslosenquote wieder kleiner werde. Das Gegenteil ist der Fall. Findet ein Unternehmen, gerade ein kleines KMU, nicht einen Ersatz für eine wichtige Fachkraft, müssen Aufträge abgelehnt werden, und das kann der Todesstoss für das Unternehmen werden und vernichtet Arbeitsplätze. Die Personenfreizügigkeit ist überlebenswichtig für den Fachkräftemarkt und die KMU!
Der Bundesrat stellt sich hinter das Parlament und unterstützt die Erhöhung des Kinderabzugs und den höheren Abzug für die Drittbetreuung von Kindern bei den Bundessteuern. Auch der sgv befürwortet die «Familienpolitische Vorlage». Was hat denn die KMU-Wirtschaft davon?
Gut ausgebildete Frauen und insbesondere Mütter, müssen sich eine Ausweitung ihres Arbeitspensums teuer erkaufen. Einerseits mit einem Rutsch in eine höhere Steuerklasse und zweitens mit hohen Kitakosten. Eine steuerliche Entlastung schafft hier Anreize in die richtige Richtung. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Steuerentlastung direkt an die Drittbetreuungskosten oder an den allgemeinen Kinderabzug gekoppelt ist. Grosseltern, Familienangehörige und Freunde verlangen in den seltensten Fällen ein Salär, welches als Drittbetreuungskosten angegeben werden könnte. Steuerentlastungen führen mittel- bis langfristig immer zu einem volkswirtschaftlichen Gewinn und mehr Wohlstand in den Haushalten. Es sind die gut ausgebildeten Mütter, welche von dieser Vorlage profitieren. Und diese Frauen sind ganz besonders häufig in Kaderpositionen in KMU zu finden. Das bestätigt eine Studie der Uni St. Gallen. Es ist meist eine Win-Win Situation für beide. Die KMU profitieren von der Fachkompetenz der Frauen und sie profitieren von den flexibleren Arbeitsbedingungen und flachen Hierarchien mit entsprechenden Karrieremöglichkeiten. KMU stehen deshalb Rahmenbedingungen, welche Mütter zum Wiedereinstieg motivieren oder ihr Pensum ausweiten lassen sehr positiv gegenüber.
Der Hauptteil der Entlastung finde ab einem steuerbaren Einkommen von rund 100’000 Franken statt und deshalb sei dies ein reiner Steuer-Bschiss auf dem Rücken des Mittelstandes, argumentieren linke Kreise. Wie sehen Sie das?
Die Vorlage ist ein erster wichtiger Schritt in Richtung Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Es ist uns unverständlich, wieso gerade die Linke, welche sich immer die Vereinbarkeit von Beruf und Familie auf die Fahne geschrieben hat, gegen diese Vorlage das Referendum ergriffen hat. Während viele Kantone den Kinderabzug bereits erhöht haben oder eine Erhöhung planen ist er seit 1995 auf Bundesebene lediglich der kalten Progression angepasst worden. Es ist an der Zeit, dass der Bund nachzieht und insbesondere Familien des Mittelstandes unterstützt. Die Kaufkraft der Familien ohne Sozialhilfe nimmt seit mehreren Jahren ab. Mit den Abzügen werden rund 900’000 Familien bzw. 56 Prozent aller Familien entlastet. Es sind jene Familien, die sonst von keinen Abzügen profitieren. Es sind jene Mittelstandsfamilien, die hohe Krankenkassenprämien und Steuern zahlen.
Für den sgv ist die Vaterschaftsurlaub-Initiative ein Sozialausbau, den er vehement ablehnt. Wieso das?
Ein zweiwöchiger Vaterschaftsurlaub verursacht direkte Mehrkosten von 230 Millionen Franken. Das ist aber nur ein Bruchteil der effektiven Kosten. Eine im Auftrag des Bundes verfasste Studie hat ergeben, dass die indirekten Kosten zusätzlicher Urlaubstage die direkten Kosten um das Doppelte bis Vierfache übersteigen. Am 27. September stimmen wir also über einen Sozialausbau ab, der bis zu einer Milliarde Franken kosten wird. Gerade für KMU stellen nicht nur die Mehrausgaben ein gravierendes Problem dar, sondern auch die zusätzlichen Absenzen. Klein- und Kleinstbetriebe müssen mit einem Minimum an Beschäftigten auskommen. Jede Abwesenheit von Mitarbeitenden verursacht Probleme und schränkt die Betriebe ein.
Vaterschaftsurlaube sind ein klassisches Thema für eine gelebte Sozialpartnerschaft. Viele Einzel- und Gesamtarbeitsverträge beinhalten grosszügige Urlaubsregelungen. Der sgv lehnt es ab, immer mehr Elemente sozialpartnerschaftlicher Vereinbarungen ins Gesetz zu übertragen. Junge Väter und Familien haben heute vielfältige Möglichkeiten, sich um ihre Kinder zu kümmern. Die Flexibilisierung von Arbeitsort und Arbeitszeit ist der Schlüssel für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Die Schweiz gilt als sicheres Land. Nun soll sie für sechs Milliarden Franken neue Kampfflugzeuge beschaffen. Wieso ist das aus wirtschaftlicher Sicht notwendig?
Die Vorlage ist voll im Sinne der Strategie und politischen Zielsetzungen des sgv. Die Schaffung stabiler Rahmenbedingen ist für die Schweizer Wirtschaft und die KMU essentiell wichtig. Eine leistungsfähige Landesverteidigung ist unabdingbar. Die Luftpolizei und die Verteidigung in der Luft sind dabei integraler Bestandteil der Landesverteidigung.
Air2030 wird voll und ganz durch das Armeebudget finanziert, ohne Beeinträchtigung der Budgets der anderen Departemente. Es ist gleichzeitig ein Investitionsprojekt für die Wirtschaft. Die Verteilung der Gegengeschäfte ist angemessen auf Branchen und Sprachregionen aufgeteilt. Die Offsetgeschäfte sind eine einmalige Gelegenheit für Schweizer KMU, Forschungseinrichtungen und Startups, ihre Produkte und Dienstleistungen zu präsentieren und Kontakte mit internationalen Firmen zu knüpfen. Aus diesen Überlegungen hat die Gewerbekammer, das Parlament des sgv, als erster Wirtschaftsverband einstimmig die Ja-Parole zu Air2030 gefasst.
Interview: Corinne Remund
Parolen des sgv
Zweimal ja, zweimal nein
JA zu höheren Kinderabzügen: www.ja-fuer-familien.ch
JA zur Anschaffung der neuen Kampfjets: www.sicherheit-ja.ch
NEIN zur Begrenzungsinitiative: www.begrenzung-nein.ch
NEIN zum Vaterschaftsurlaub: www.lohnabzuege-nein.ch