Gravierende Auswirkungen auf soziale Institutionen

    Durch die Corona-Pandemie entsteht eine zunehmende Kluft zwischen Ansprüchen und Realisierbarkeit

    Das Corona-Virus fordert die Geschäfts- und Betriebsleitungen von Institutionen im Sozial- und Gesundheitswesen stark. Auf dem Spiel stehen die Sicherheit, Qualität und Stabilität der Betriebe. Fehlentwicklungen können sich unmittelbar und eventuell drastisch auswirken. Es gilt, mit eingeschränkten Ressourcen den Betrieb mit zunehmenden Anforderungen aufrechtzuerhalten.

    (Bild: Bilddatenbank Kanton BS) Der Umgang mit der Coronavirus-Krise ist für alle Direktbeteiligten im Sozialwesen und in den Spitälern eine Parforce-Leistung sondergleichen. Leider ist es nicht immer möglich, die Kluft zwischen Ansprüchen und Realisierbarkeit komplett zu schliessen.

    Wie die meisten Branchen, sieht sich auch das Sozial- und Gesundheitswesen mit den sich ändernden gesellschaftlichen, technologischen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen konfrontiert. Im Wesentlichen ist der steigende Druck auf die demografischen Veränderungen, wie die steigende Lebenserwartung, veränderte Klientenbedürfnisse sowie Fachkräftemangel zurück zu führen. Der Wettbewerb nimmt zu, ebenso die Ökonomisierung der Pflege- und Betreuungstätigkeiten sowie die Substituierung der menschlichen Arbeitskraft durch neue Technologien, die die Arbeitswelt in ihren Grundfesten verändert. Dies alles steht im Kontrast zum Wunsch nach mehr Selbstbestimmungsrechte, Wiedereingliederung in die Gesellschaft und Solidarität als gesellschaftlicher Grundwert.

    Zunehmende Ansprüche an die Organisationen
    Die Finanzierung des steigenden Bedarfs an Versorgungs-, Pflege- und Betreuungsleistungen, die steigenden Lohn- und Verwaltungskosten sowie der Zeitdruck durch komplexere Pflege- und Betreuungssituationen stellen immer höhere Ansprüche an die Institutionen. Qualitätsstandards, Bürokratie und der Spagat zwischen Markt und kantonalen Bestimmungen verstärken diesen Druck. Nebst den Ökonomisierungs- bzw. Spezialisierungs-Tendenzen steht ferner ein Generationenwechsel in Fach- und Führungsfunktionen an.

    Zusätzliche Erschwernisse durch die Corona-Pandemie
    Die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind drastisch. Vor allem die Engpässe beim Pflege- und Betreuungs-Personal, verursacht durch krankheitsbedingte Ausfälle von Mitarbeitenden und die reduzierte Unterstützung Angehöriger und Freiwilliger aufgrund der Ansteckungsgefahr und drastischer Sicherheitsmassnahmen, setzten die Institutionen zusätzlich unter Druck. Die Erhöhung des Pflege- und Betreuungsaufwands löst unter Umständen Konfusion und Diskussionen um die Verteilung der Mehrarbeit, Kompetenzen und Verantwortung aus. Die Pendenzen häufen sich und der gesetzliche Auftrag ist nur mit grossen Anstrengungen aufrecht zu erhalten.

    Dadurch nehmen die Unzufriedenheit und gegebenenfalls auch die Ausfallrate der Mitarbeitenden zu, was den Druck auf die Geschäftsleitung erhöht. Die Sicherheit, Qualität und Stabilität der Organisation sowie der Dienstleistungen ist ebenso in Gefahr, wie die eines Reputationsschadens. Und wenn schliesslich zur Linderung von Engpässen auch leitende Angestellte im operativen Geschäft anpacken müssen, besteht die Gefahr, dass betriebswirtschaftliche Führungsaufgaben vernachlässigt werden. Eine interimistische Unterstützung bei der betriebswirtschaftlichen Steuerung der Organisation könnte helfen, allen Akteuren zusätzliche Kapazität zu verschaffen, neue Impulse auszulösen sowie Wissen und Erfahrungen «von aussen» einfliessen zu lassen.

    Brisante Prognosen
    In den nächsten zehn Jahren fehlen Studien zufolge in der Schweiz eine halbe Million Arbeitskräfte. In den 1560 Alters- und Pflegeheimen mit 95’000 Vollzeitstellen und 120’000 Bewohner/innen fehlen bis 2030 rund 28’000 zusätzliche Fachkräfte. In den 750 Institutionen für Menschen mit Behinderung mit 30’000 Vollzeitstellen sowie 40’000 beeinträchtigten Menschen fehlen bis 2030 rund 19’000 zusätzliche Fachkräfte. In den 600 Spitex-Organisationen mit 36’000 Vollzeitstellen und 340’000 Klienten sowie den 281 Spitalbetrieben mit 165’000 Vollzeitstellen und 40’000 Betten fehlen bis 2030 rund 150’000 erwerbsfähige Personen in Gesundheitsberufen (Stand 2019, BFS).

    Massnahmen am Arbeitsmarkt
    Aus staatspolitischer Sicht gäbe es die Möglichkeit zur Erleichterung der Arbeitsmarktbeteiligung von älteren Arbeitnehmern, jedoch mit begrenztem Potential. Oder die Steigerung der Arbeitsproduktivität, ebenfalls mit begrenzten Möglichkeiten, da Steigerungseffekte in einer Dienstleistungsgesellschaft naturgemäss gering sind. Bleibt noch die Zuwanderung aus dem Ausland, die einen Teil der neu geschaffenen Stellen der vergangenen Jahre besetzen konnte. Ob dies ausreichen wird, um die demografische Lücke zu schliessen, sei dahingestellt.

    Eigenverantwortung der Organisationen
    Betriebswirtschaftliche Überlegungen gewinnen an Relevanz, insbesondere die Abwägung von Nutzenpotential und tatsächlichem Erfolg. Effizienz und Qualität haben einen immer höheren Stellenwert. Dies zwingt die Organisationen den Fokus verstärkt auf die Verbesserung von betrieblichen Abläufen und organisatorischen Strukturen sowie die Personal-Entwicklung zu richten, soweit sinnvoll auf der Basis der Digitalisierung von Prozessen und damit verbunden der intensiveren Nutzung von Daten.

    Letztlich gilt die Devise, den Betrieb trotz pandemiebedingter Erschwernisse nachhaltig zu sichern. Wenn nötig auch mit externer Unterstützung.

    Matthias Schweizer
    Aufgezeichnet von: JoW


    Zur Person

    (Bild: zVg) Dr. Matthias Schweizer – sein Knowhow ist jetzt gefragt.

    Matthias Schweizer, Dr. phil., Sozialökonom, ist als Experte für Überbrückungslösungen und Betriebsanalysen für sozial tätige Organisationen wie Alters- und Pflegeheime, Institutionen für Menschen mit Behinderung sowie Spitex-Organisationen tätig.

    Er steht dem Berater-Netzwerk Moncrier (www.moncrier.ch) vor und unterstützt als Partner die Geschäftsleitung der ONORA Homecare 24-Stunden-Betreuung.

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